Addio
Wir danken sehr herzlich Trudi Hess Würmli, der Witwe von Ulrico Hess, für die wohlwollende ideelle Unterstützung unseres Herzensprojekts.

Von Pfr. Thomas Koelliker
Abdankung zu Ehren von Ulrico Hess, Fraumünster Zürich, 14.03.2006
Liebe Trudi, liebe Kinder, liebe Trauerfamilie, liebe Mittrauernde
"Neue Lage" - so kommentierte Rico Hess mir gegenüber den Zustand nach dem ärztlichen Befund am 8. August vergangenen Jahres. Eine neue Lage, die analysiert werden muss, mit der entsprechend umgegangen werden muss, die in den Griff zu bekommen ist. Und unmittelbar im Anschluss der Gedanke an Dich, liebe Trudi. Nicht sich selber sah Rico als Leidtragender - er sah Dich. Und dann folgten Therapien. Eisern durchgehalten mit Ricos Willen. Stets Hoffnung. Hoffnung als Prinzip, Hoffnung wider alle Hoffnung. Stets wiederum ein Aufrichten - doch am Ende siegte der Tod. Das "Warum" findet keine Antwort. Doch es war sein Leben, es war sein Tod. Bis zuletzt - und dazu gehört auch sein Wunsch nach einem Bier in seinen letzten Stunden: es wäre nicht Rico Hess gewesen, wenn er sich nicht darüber gefreut hätte. Dass ihm sinnloses Leiden in fortschreitender Abhängigkeit erspart blieb, kann uns heute bei allem Schmerz auch in Dankbarkeit Abschied nehmen lassen.
Abschied nehmen gehört zu den Geheimnissen des Lebens. Wer immer bereit ist, Abschied zu nehmen, ist auch bereit, sich auf das Leben als solches einzulassen. Denn wer Abschied nimmt von einem anderen Leben, der kommt zu seinem eigenen Leben in neue Berührung. Auch und gerade in Erinnerung an gemeinsame Zeiten mit Rico Hess.
Erinnerung hat aber, dem Wortsinn von Erinnerung entsprechend, mit unserem Innersten zu tun. Mit den Bereichen in unserem Leben, die den Kategorien von Raum und Zeit entzogen, die unsichtbare Brücke bilden zwischen Vergangenheit und Zukunft. Im Akt des Sich-Erinnerns bilden wir wesentlich unsere Zukunft mit. Darum wollen wir ganz sorgsam mit unseren Erinnerungen umgehen. Für die Zukunft unseres Verstorbenen ist gesorgt. Für unsere Zukunft müssen wir selbst wesentlich mitbesorgt sein.
Als Spiegel unserer Erinnerung soll ein Satz aus der Johannes Apokalypse dienen.
Sei getreu bis in den Tod, und ich will dir die Krone des Lebens geben. Off 2,10
Ein Satz bloss - doch er vermag alles zu sagen. Ein Satz - und er hätte auf jeder Brissago-Packung Platz gehabt!
Sei getreu bis in den Tod, und ich will dir die Krone des Lebens geben. Off 2,10
Der Schreiber dieses Satzes ist unbekannt. Geschrieben wurde die Joh Apokalypse gegen Ende des 1.Jh. in Kleinasien. Eine Zeit der Irrungen und Wirrungen, eine Zeit der Domitianischen Verfolgungen. Anpassung oder Widerstand - dies die Frage. Und dann das performative Wort: Sei getreu bis in den Tod, und ich will dir die Krone des Lebens geben. Off 2,1
Der unbekannte Verfasser hat nicht das Interesse, die ihm in der Tradition vorgegeben apokalyptischen Bilder zeitgeschichtlich zu deuten. Vielmehr will er gerade umgekehrt seine eigene Geschichte interpretieren im Horizont des Übergeschichtlichen und Transzendenten, das in diesen Bildern ausgesagt ist. Auch im Bilde der Krone. Ein Symbol. Die runde Form der Insignie weist auf Ganzheit, Vollkommenheit und Wahrhaftigkeit hin. Wer eine Krone aufgesetzt bekommt, ist berufen zum Herrscher. Doch dies äussere Bild hat seine Wirkung erst, wenn es existentiell relevant wird. Nicht um äussere Insignien geht es in der Joh Apokalypse. Die innere Ausrichtung eines Menschen ist gemeint. Ganz gleich welchen Standes, welchen Grades, welcher Herkunft, in welchem gesellschaftlichen Kontext: in seinem ureigensten Leben hat ein jeder Mensch die Möglichkeit, innerlich eine Krone zu erhalten.
Es wurde Rico Hess nicht an der Wiege gesungen, dass er einst KKdt sein werde. Doch er wurde es. Dahinter stand nicht Herkunft, standen keine gesellschaftlichen Beziehungen. Lediglich ein B-Vorschlag. Aber dann Rico Hess. Seine Absicht. Sein Wille. Und seine Freiheit, die er zu nutzen wusste. Er lebte seine Freiheit - vielleicht gerade, weil er nicht gebunden war an irgendeine Herkunft, an einen sozial verpflichtenden Status. Eine Freiheit, die ihn sich selbst werden liess. Eine Freiheit, die ihn seine eigene Wahrhaftigkeit leben liess.
Eine Aufgabe tat er um ihretwillen und nicht im Hinblick auf ein berufliches Weiterkommen. Wer eine innere Krone trägt, kann auf äussere Insignien verzichten. Sie kommen dann noch dazu - aber nützen nichts, wenn die innere Krone fehlt! Rico Hess blieb sich selbst treu - ein Leben lang. Wirklich bis zum Tode. Wer sich selbst dergestalt treu ist - auf den ist Verlass!
Genauestens vermochte er zu unterscheiden, wann Verantwortung delegiert werden kann und wann nur die eigene Person diese zu tragen hat. Wegweisend war sein Sinn für das Wesentliche, sein Sinn für die Wirklichkeit. Das Wesentliche, die Wirklichkeit sollte nie mit einer Show überdeckt werden. Er verachtete Potemkinsche Dörfer.
Es ging um Wahrheit, Ehrlichkeit und Redlichkeit. Gerade dies verschaffte ihm Zugang zu jedem, der sich an seinem jeweiligen Ort ums Gelingen bemühte. Er versuchte zu verstehen, auch wenn er nicht immer einverstanden war. Und er versuchte immer von unten her zu verstehen!
Eine Ehrlichkeit, die es ihm ermöglichte, auch eigene Fehler einzugestehen.
Wo immer er war, versuchte er Einsichtsverhalten zu fördern, das in seiner Folge aktiv werden liess. Blosses Kontrollverhalten ohne Lösungsmöglichkeiten war ihm fremd.
Und Rico Hess anerkannte, wenn gute Arbeit geleistet wurde. Fremde Ideen, wenn er sie als sinnvoll, zukunftsweisend, lösungsorientiert ansah, nahm er selbstverständlich auf, der Grad spielte keine Rolle.
War ihm selbst Freiheit enorm wichtig, so gestand er diese auch anderen zu. Unabhängig vom Rang sah er im anderen einen gleichberechtigten Kameraden, der in der Freiheit eigener Verantwortung zum Gelingen eines gemeinsamen Auftrages das Seine beizutragen hat. Dergestalt schenkte er Vertrauen. Wehe, wenn dies geschenkte Vertrauen missbraucht wurde. Ebenso wenig vertrug er Unehrlichkeit, Unkameradschaftlichkeit.
Und dann konnte er Freude zeigen. Er liess andere auch an seinen Höhen und Tiefen teilnehmen. Darin wirkte er als Integrationsfigur, welche Menschen ganz einfach gerne hat.
Es wäre aber nicht Rico Hess gewesen, wenn sein Denken und Handeln nicht zuweilen polarisierend gewirkte hätten. Ja, er konnte auch polarisieren. Aber nicht um des Polarisierens willen. Es ging ihm immer um die Sache des Auftrages und um die Sache der ihm anvertrauten Menschen. Da pflegte er eindeutige Standpunkte einzunehmen, die er aber stets zu kommunizieren wusste. Klar, einfach, prägnant. Er war sich zutiefst bewusst, dass ein absoluter Standpunkt letztlich Standpunktlosigkeit bedeutet. Beides entzieht sich der Kommunikation. Namentlich derjenigen Kommunikation, die sich des argumentativen Weges bedient. Und so war er denn stets offen für Argumente, auch für intelligente Gegenargumente. Denn Freiheit bedeutete für ihn auch Freiheit für den Widerspruch. Aber immer von Angesicht zu Angesicht, mit offenem Visier.
Im Grunde aber liebte er keinen Ärger, war er doch im wahrsten Sinne des Wortes harmoniebedürftig. In seiner ganzen Sensitivität und Sensibilität.
Sei getreu bis in den Tod, und ich will dir die Krone des Lebens geben. Off 2,10
Gerade die Rundung der Krone umfasst auch seine sensitive und sensible Ader. Vielleicht stammt von daher auch sein Empfinden für Symbole. Konnte Erich Fromm von der Sprache der Symbole als der wichtigsten Sprache sprechen, die es zu lernen gilt, so verstand sich Rico Hess in ganz hohem Masse auf eben diese Sprache. Darin spiegelte sich sein Wirklichkeitsbewusstsein zum einen, sein Realitätsbewusstsein zum anderen. Ohne viel Worte hat er diesen Unterschied gelebt, viel tiefer in seinem religiösen Empfinden, als es mancher gerade bei Rico Hess vermutet hätte. Überaus gerne hatte er Kerzen. Sein Haus in Jona - oftmals mit Kerzenschein erleuchtet. Und wenn er von Spaziergängen in Valbella heimkam, dann brauchte er einen Blumenstrauss mit: frisch gepflückte Wiesenblumen, angesichts derer er ganz einfach Freude empfand.
Und dann auch Tradition. Sehr wohl zu unterscheiden, auch hier nicht mit viel Worten, so doch der Sache nach, zwischen Tradition und Traditionalismus. Wird unter Tradition der lebendige Glaube der Toten verstanden, unter Traditionalismus aber der tote Glaube der Lebenden, so sah er seine Verpflichtung einer echten, wahrhaften Tradition gegenüber um der Zukunft willen. Wahrheit auch hier. Treue auch hier.
Seine Liebe zur Natur, seine Liebe zu seinem Hund Tasso spiegelte diese Treue wider. Der Hund - in allen Mythologien Symbol von Treue und dann auch Psychopompos, Seelenbegleiter. Begleiter des Menschen zu seinem Selbst, in seiner Individuation. Wir denken an die griechische Mythologie, an den AT Tobit, wir denken an den Hund auf Dürers Bild "Ritter, Tod und Teufel". Treue - das Tier verkörpert sichtbar etwas von der Treue, wie sie für Rico Hess in seinem Lebensentwurf wesentlich war.
Sei getreu bis in den Tod, und ich will dir die Krone des Lebens geben.
Und nun ist Rico Hess angekommen. Angekommen da, wo die Geschichtlichkeit, Unwägbarkeit und Fragmenthaftigkeit jeglichen Lebens ein Ende findet im umfassenden Verstehen und in der Liebe Gottes. Dort ist er aufgehoben. Aufgehoben in der dreifachen Bedeutung des dt. Wortes aufgehoben. Mehr zu sagen wäre Hybris. Weniger zu sagen würde bedeuten, sich jeglicher Hoffnung zu versagen. Aufgehoben - Gott sei Dank.
Und für uns sollen die Worte Bonhoeffers gelten, wie sie auf der Todesanzeige stehen:
Lass warm und still die Kerzen heute flammen,
die du in unsere Dunkelheit gebracht,
führ uns dereinst wieder zusammen,
wie wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
Amen
Pfr. Thomas Koelliker
Bild: Chagall-Fenster, Fraumünster Zürich, Zürich Tourismus